Die zentrale Rolle des Kartellrechts in der EU-Verkehrspolitik

Ass.-Prof. Dr. Peter Stockenhuber LL.M. (Edinburgh),
Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht, Uni Wien


1. Europäische Verkehrspolitik und Liberalisierung

Die Bedeutung des Verkehrs und der Verkehrswirtschaft für das Projekt eines gemeinsamen Europas war den Gründungsvätern der EuGem von Anfang an voll bewußt. Er ist mit seinem Beitrag in der Höhe 6 % zum europäischen BIP wirtschaftlich von großer Wichtigkeit - sein reibungsloses Funktionieren nach primär marktwirtschaftlichen Prinzipien ist aber vor allem unabdingbare Voraussetzung für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Der Verkehr ist einerseits Instrument der Integration, er ist aber andererseits zugleich auch Gegenstand der Integration und der dafür notwendigen Anstrengungen.

Trotz dieser sehr frühen Erkenntnis war der europäische Verkehrs- und Transportsektor noch für sehr lange Zeit von Monopolen oder Oligopolen auf der Angebotsseite, durch hohe Preise der angebotenen Leistungen, durch staatliche Preisfestsetzung und sonstige Regulierung und nicht zuletzt durch hohe Marktzutrittsschranken gekennzeichnet.

Veränderung in dieses erstarrte Verkehrssystem brachten nicht die Tonnen von Papier, die seit den 60-er Jahren mit Absichtserklärungen, verkehrspolitischen Statements und Wunschprogrammen vollgeschrieben wurden. Sie alle stellten zwar alle eine marktwirtschaftlich orientierten Verkehrswirtschaft in Aussicht. Fortschritt brachten aber erst die folgenden Ereignisse: (1.) die Entscheidung des EuGH, daß die europäischen Wettbewerbsvorschriften auch auf den Verkehrssektor anwendbar seien (1973), und (2.) die Verabschiedung der verschiedenen Liberalisierungs- und Deregulierungs-RLen und -VOen des Rates auf Vorschlag der Europäischen Kommission.

Das Ziel dieser Liberalisierungs-RLen war und ist ganz klar definiert: Die Öffnung der voneinander weitgehend abgeschotteten Märkte durch den Abbau der staatlichen Marktzutrittsschranken (wie zB Zugangsbeschränkungen, Mengenkontingenten und Preisregulierungen) - damit die Verwirklichung der europäischen Grundfreiheiten (insb der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit) durch unterstützende und flankierende Maßnahmen auf sekundärrechtlicher Ebene - und im Interesse aller Verkehrsunternehmen und ihrer Kunden die Schaffung der Voraussetzungen für einen grundsätzlich marktwirtschaftlich-wettbewerblich orientierten Verkehrsmarkt.

Das bis heute erzielte Ergebnis dieser Bemühungen nach Liberalisierung und Marktöffnung läßt nun für die einzelnen Verkehrssektoren noch keine einheitliche Betrachtung zu. Es besteht aber schon heute kein Zweifel mehr, daß der gesamte Verkehrsbereich vom Marktprinzip "freier Wettbewerb" bestimmt werden soll. Nur die konkrete Verwirklichung des Wettbewerbsprinzips ist aufgrund struktureller Unterschiede noch keineswegs für alle Verkehrsträger in gleichem Ausmaß gelungen. Im Straßengüterverkehr wurde seit der 1998 verwirklichten Kabotagefreiheit ein Zustand völliger Liberalisierung erreicht. Auch die Luftfahrt ist seit dem letzten Liberalisierungspaket von 1993 durch eine weitgehend freie Beförderung von Personen und Gütern gekennzeichnet. Beim grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Busverkehr, bei der See- und Binnenschifffahrt und im Eisenbahnsektor sieht es aber anders aus - dort sind zwar ebenfalls erste wichtige Schritte bereits gesetzt, eine völlige Liberalisierung und Deregulierung steht aber noch aus.

2. EG-Kartellrecht als notwendige Ergänzung bzw integraler Bestandteil der Liberalisierungsbemühungen. Wozu Kartellrecht in einem liberalisierten Umfeld?

Lassen wir nun die unterschiedliche Verwirklichung des Wettbewerbsprinzips einmal beiseite - wir dürfen das, weil mit seiner Umsetzung auch in den noch nicht völlig geöffneten Märkten sicher zu rechnen ist - dann stellt sich jetzt die Frage, ist mit der Liberalisierung nicht ohnehin schon alles Notwendige getan? Wozu brauchen wir jetzt noch die Regeln des Kartellrechts? Kurz: wir haben durch diese Vorschriften zur Liberalisierung die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Wettbewerb möglich ist. Können wir uns jetzt nicht zurücklehnen und einfach darauf warten, daß die Unternehmen in diesem neugeschaffenen Markt im täglichen Kampf um das Bestehen im Wettbewerb für einen optimalen Ressourceneinsatz und niedrige Preise sorgen?

Meine Damen und Herren, ein solches Verhalten wäre fatal.Überlassen Sie den Wettbewerb sich selbst so setzt er sich letztlich selbst außer Kraft. Schaffen Sie heute einen von staatlichen Regulierungen freien und nach wettbewerblichen Prinzipien funktionierenden Markt, und sie können sicher sein, daß die auf diesem Markt tätigen Unternehmen schon morgen alles versuchen werden, um diesen Wettbewerb zu beschränken oder, wenn geht, sogar gänzlich zu beseitigen. Ein derartiges Verhalten wird - wie die Erfahrung zeigt - in jungen, gerade erst liberalisierten Märkten wie dem Verkehrsmarkt ganz besonders von den hier vertretenen ehemals staatlichen Monopolbetrieben an den Tag gelegt.

Nun werden manche von Ihnen vielleicht zweifeln und sich fragen, ob es nicht eine boshafte Unterstellung ist, daß Unternehmen ihre neugewonnenen wettbewerblichen Freiheiten durch Kartelle, abgestimmte Verhaltensweisen, Mißbrauch ihrer Marktmacht und durch Zusammenschlüsse etc beseitigen wollen? Ist es nicht vielmehr so, daß Unternehmen glücklich sind über die ihnen gewährten wettbewerblichen Freiheiten?

Ich glaube, die Realität hat zwei Seiten:

Unternehmen lieben Wettbewerb, denn durch die erfolgreiche Teilnahme am freie Spiel der Kräfte, dh dem Spiel, das von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, versprechen sie sich zu recht und völlig legitimer Weise satte Gewinne und Dividenden - das ist die gute Seite, hinter der die menschlichen Aspekte von Leistungsbereitschaft, Einsatzwillen, Ehrgeiz, und Einfallsreichtum stehen.

Andererseits lieben Unternehmen den Wettbewerb aber auch nicht, denn der ist - um es einfach zu sagen - mühsam, nervenaufreibend und fordert ständig neue Anstrengungen. Preiskampf, der Kampf um Marktanteile, teure Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit ungewissem Ausgang, Verbesserung der Produktqualität und der angebotenen Service- und Garantieleistungen - all das kann man sich doch ersparen, wenn man sich mit seinem Mitkonkurrenten bei einem schönen Mittagessen - zB im Hotel Bristol in Wien, das hierfür besondere Räume bereit halten soll - die Preise bestimmt, den Markt aufteilt, die Angebotsmenge festlegt und die Qualität der Produkte vereinheitlicht.

Wer könnte es jemandem verübeln, daß er gerne diesen zweiten Weg einschlagen will? Nur darum geht es leider nicht. Denn dieser zweite Weg kann auf legale Weise nicht beschritten werden. Wer sich dem Wettbewerb stellt, hat nach den Vorgaben des Europarechts und der Rechtsprechung des EuGH nach der Devise zu handeln, daß er sein Verhalten in diesem täglichen Kampf nicht mit andern abspricht und koordiniert, sondern selbst und autonom bestimmt. Im Kartellrecht sprechen wir hier vom "Selbständigkeitspostulat".

Und genau diesem Selbständigkeitspostulat ist das Kartellrecht verpflichtet. Die durch die Liberalisierung gelungene Herbeiführung marktwirtschaftlicher Prinzipien in Märkten wie der Telekommunikation, der Energiewirtschaft oder eben dem Verkehrssektor (und natürlich auch in allen anderen Märkten) verlangt wegen der unternehmerischen Abneigung gegen Wettbewerb nach einer Aufsicht. Einer Aufsicht, die sicherstellt, daß die durch die Abschaffung staatlicher Beschränkungen eben erst gewonnene bzw - je nach Betrachtungsweise - aufgezwungene Freiheit zu wettbewerblichem Verhalten nicht sogleich durch Beschränkungen seitens Privater wieder beseitigt wird.

Und genau diese Aufsicht wird durch das Kartellrecht geleistet. Es soll sicherstellen, daß der ermöglichte Wettbewerb erhalten bleibt.

Ausgehend von diesem Grundanliegen verfolgt das europäische Kartellrecht im einzelnen genau drei Ziele:

1. In einem vereinten europäischen Markt ohne Binnengrenzen macht es keinen Sinn, einerseits staatliche Zugangshindernisse und Handlungsbeschränkungen für Marktteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten zu beseitigen - andererseits aber privaten Marktteilnehmern durch Absprachen, Abreden und sonstige Verhaltensweisen den Wiederaufbau derartiger Beschränkungen und Zugangshindernisse zu gestatten. Damit ist die besondere Integrationsfunktion des Europäischen Kartellrechts angesprochen.
2. Zum anderen verfügen wir aber auch deshalb über ein Europäisches Kartellrecht, weil sich die MS der EuropGem im EG-Vertrag eine grundsätzlich wettbewerbliche Markt- und Wirtschaftsordnung verordnet haben. Sie versprechen sich davon einen effizienten Einsatz knapper volkswirtschaftlicher Güter. Der Grundkonsens besteht im Ende der Planbewirtschaftung und der - so weit als möglich - Beendigung staatlicher Regulierung. Nur durch die unsichtbare Hand des Wettbewerbs kann das Volkseinkommen gesteigert werden.
3. Und schließlich geht es bei einem durch Wettbewerb herbeigeführten effizienten Einsatz von Ressourcen letztlich auch um Konsumentenschutz und Konsumentenwohlfahrt. Konsumenten sollen das bekommen, was der Markt aufgrund des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage anbietet bzw anbieten kann. Sie sollen aber nicht deshalb weniger bekommen, weil dieses freie Spiel durch künstliche Beeinflussung seitens der Unternehmen nicht mehr stattfinden kann. MaW, meine Damen und Herren, seien wir uns dessen bewußt, die Zeche für kartellrechtswidriges Verhalten zahlt immer der Konsument - in der Form höherer Preise für das Flugticket, einer geringeren Anzahl der ihm angebotenen Busverbindungen, einer geringeren Auswahl der auf dem Markt vertretenen Schifflinien, in der Form schlechterer Serviceleistungen und ich könnte die Liste noch lange fortsetzen.

3. Gefahren für den Wettbewerb und ihre Bekämpfung durch das Kartellrecht

Meine Damen und Herren, nachdem ich nun die Notwendigkeit und Existenz kartellrechtlicher Vorschriften zu begründen versucht habe, wenden wir uns nun der Frage zu, auf welche Weise Wettbewerb durch Private beeinträchtigt werden kann und wie das Kartellrecht dem begegnet. (Kartellbildung - Monopolmißbrauch - und Monopolisierung)

1. Die erste Form ist die Kartellabsprache.
Sie können sich vorstellen, daß ich der Europäischen Kommission sehr dankbar bin, ihre Entscheidung über den Lombard-Club der öBanken nur wenige Tagen vor diesem Symposion veröffentlicht zu haben. Spätestens jetzt weiß jeder, was ein Kartell ist.


Bei den klassischen Kartellen - man spricht in diesem Zusammenhang mitunter auch von sog hard-core Kartellen - geht es den am Kartell beteiligten Unternehmen üblicherweise um Preisfestsetzung (wobei auch die Verabredung bloß einzelner Preisbestandteile oder von Kalkulationsgrundsätzen erfaßt wird), um räumliche Marktaufteilung bzw Marktabschottung (zB durch vertikale Vertriebsvereinbarungen mit absolutem Gebietsschutz und durch die Verhinderung von Parallelimporten), um die Festschreibung von Marktanteilen, um die Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes oder darum, ihren Abnehmern deren Wiederverkaufspreise vorzuschreiben, oder sich bei öffentlichen Ausschreibungen darüber zu verständigen, wer den Zuschlag erhalten soll.

Ich möchte Ihnen ganz kurz zwei bekannte Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit präsentieren, um deutlich zu machen, wie die Kommission derartige Kartellen begegnet. Sie betreffen zwar nicht den Verkehrssektor, sie könnten aber in genau dieser Form auch dort vorkommen.

Der erste Fall betraf das europäische Fernwärmekartell, in dem es zT um ganz ähnliche Vorkommnisse ging wie bei den in Ö stattgefundenen Bauprozessen rund um die Ausschreibungen für den Flughafen Wien. Hier haben Unternehmen, die sich bei öffentlichen Ausschreibungen über den Bau von Fernwärmeleitungen als Bieter beteiligt haben, Absprachen darüber getroffen, wer jeweils bei welcher Ausschreibung den Zuschlag erhalten sollte - die im Einzelfall nicht Auserwählten gaben jeweils überhöhte Angebote ab. Gegen ein schwedisches Unternehmen, das an diesem Ausschreibungsbetrug trotz Aufforderung nicht teilnehmen wollte, haben die Kartellbeteiligten Sanktionen verhängt, die insb in einem Boykott durch dessen Zulieferer bestanden. Ergebnis des Kartellverfahrens waren dann im Jahre 1998 Geldbußen über insg 1,25 Mrd öS

Der zweite Fall betrifft das Vitamin-Kartell. Hier haben europäische und nichteuropäische Unternehmen die Preise für Vitamine abgesprochen und sich den Weltmarkt für Vitamine untereinander aufgeteilt. Die Kommission betrachtete dies deshalb als besonders verwerflich, weil es bei Vitaminen um lebenswichtige Nahrungs- und Zusatzstoffe geht, auf die wir alle angewiesen sind. Wir nehmen sie täglich zB im Müsli, in Nahrungsergänzungsmitteln oder Kosmetika zu uns. Die im vergangenen Jahr verhängten Geldbußen fiel daher auch sehr hoch aus, insg. wurden hier Strafen idH von fast 12 Mrd öS (855 EURO) verhängt, die Geldbuße für Hoffmann-La Roche allein betrug 6,3 Mrd öS (460 Mio EURO).

Das Europäische Kartellrecht begegnet Kartellen mit einem grundsätzlichen Verbot. Sie finden den Wortlaut des in Art 81 EG-V festgeschriebenen Verbotes in Ihrer Tagungsmappe. Ich möchte aus aktuellem Anlaß dazu nur ergänzend hinzufügen, daß es - wie schon aus dem Wortlaut deutlich wird - nicht darauf ankommt, ob das Kartell auch tatsächlich umgesetzt wurde und ob sich alle daran gehalten haben - selbst der Versuch der Kartellbildung ist verboten und strafbar.

Der Vollständigkeit wegen muß ich nun hinzufügen, daß es auch Fälle gibt, die keineswegs so klar und eindeutig sind wie die erwähnten. In diesen Grauzonen läßt sich mitunter nur in genauer Kenntnis der Entscheidungspraxis von Kommission und EuGH feststellen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt oder nicht. Als Beispiel seien hier die verschiedenen strategischen Allianzen im Luftverkehrssektor genannt, denen die Kommission zwar grundsätzlich positiv gegenüber stand, die aber doch sehr sorgfältig auf nicht mehr tolerierbare Wettbewerbsbeschränkungen geprüft werden mußten. Für derartige Fälle bietet das Gesetz die Möglichkeit, daß an sich wettbewerbsbeschränkende Absprachen wegen ihrer positiven Auswirkungen durch eine allgemeine oder für den Einzelfall erteilte Genehmigung vom Verbot ausgenommen werden. Diese positiven Nebeneffekte müssen sich auf den technischen Fortschritt beziehen oder eine effizientere Marktversorgung gewährleisten.

2. Die zweite Form der Wettbewerbsbeschränkung betrifft das Verhalten von
Unternehmen in monopolartiger oder marktbeherrschender Stellung.

Das Gesetz legt großen, den Markt beherrschenden Unternehmen strengere Verhaltensregeln für ihr Auftreten auf dem Markt auf, als kleineren oder mittelgroßen Unternehmen. Das Motto lautet: Quod licet David, non licet Goliat. Anders formuliert, in einem Markt, dessen Funktionsweise durch die Existenz eines Marktbeherrschers bereits beeinträchtigt ist, ist es gerechtfertigt, diesen Marktbeherrscher strenger zu behandeln als seine allenfalls noch verbliebenen (und in jedem Fall kleineren) Konkurrenten. Es besteht nämlich die große Gefahr, daß er seine überragende Position, die ihm ein unabhängiges und von Wettbewerbsdruck freies Verhalten erlaubt, schlicht in ausbeuterischer oder behindernder Weise mißbraucht.

Die maßgebliche Vorschrift - Art 82 EG-V (Tagungsmappe) verbietet marktbeherrschenden Unternehmen den Mißbrauch ihrer Position und sieht - anders als das Kartellverbot - auch keinerlei Ausnahmen vor.

Dieser Mißbrauch kann mannigfaltig sein. Der Marktbeherrscher könnte zB seine Preise auf überwettbewerblichem Niveau festsetzen. Er könnte sie aber - vorübergehend - auch so niedrig festsetzen, bis verbliebene Kleinkonkurrenten irgendwann einmal dem Preiskampf erliegen und vom Markt verschwinden (mit der unausweichlichen Folge, daß er seine Preise dann ungehindert anheben wird). Er könnte aber - durch sog Kopplungsgeschäfte - seinen Abnehmern auch Produkte aufzwingen, die sie zwar gar nicht wollen, die sie aber letztlich doch erwerben weil ihnen das eigentlich gewünschte Produkt sonst nicht verkauft wird. Und schließlich könnte er seine Abnehmer diskriminieren in dem er zB ohne sachlichen Grund unterschiedliche Preise von Ihnen verlangt oder nur unterschiedliche Mengen oder Qualitäten anbietet.

Meine Damen und Herren, diese Vorschrift hat für den jungen, erst durch Liberalisierung entstandenen Verkehrsmarkt - aber auch für den Telekommunikations- und Energiemarkt - besondere Bedeutung.

Diese Bedeutung beruht zum einen darauf, daß sich nach der Liberalisierung dieser Wirtschaftssektoren die ehemals verstaatlichten Monopolbetriebe zunächst trotz Marktöffnung noch in einer marktbeherrschenden Stellung befanden. Sie sind zum Teil mit sehr rigorosen - eben mißbräuchlichen - Maßnahmen gegen neue Wettbewerber vorgegangen. Ich erinnere an die Hindernisse, die British Airways der Virgin Airlines von Richard Branson in den Weg gestellt hat. Manche berichtet, daß auch in Österreich der Markteinstieg für den ersten privaten Fluglinienbetreiber nicht ganz friktionsfrei von Statten gegangen sei.

Zum anderen beruht diese Bedeutung auch darauf, daß Marktöffnung ja nicht bedeuten sollte, daß nun jeder das Land mit Stromleitungen, Gasrohren oder Eisenbahnschienen überziehen darf. Es soll auch weiterhin nur eine netzgebundene Infrastruktur für jeden dieser Bereiche geben. Bezüglich dieser befindet sich der - ehemals staatliche - Inhaber daher auch künftig in einer marktbeherrschenden Stellung bzw sogar einer Monopolstellung. Mit der Liberalisierung wurde ihm aber die Verpflichtung auferlegt, sein Strom-, Gas-, Telephon- oder eben sein Schienennetz auch neuen Konkurrenten zur Verfügung zu stellen. Und daß dies auch tatsächlich und in nicht diskriminierender Weise geschieht soll durch das Kartellrecht bzw in concreto durch die Mißbrauchsaufsicht über Unternehmen in marktbeherrschender Stellung sichergestellt werden.

Und besonders für den Verkehrssektor ist schließlich noch die Frage des Zugangs zu Flug- und Seehäfen anzusprechen. Auch der Betreiber eines Flughafens oder Seehafens befindet sich in einer marktbeherrschenden Stellung und darf diese nicht mißbrauchen. Er ist daher ebenfalls verpflichtet, seine Einrichtungen Konkurrenten zur Verfügung zu stellen, wenn dieser Zugang die Bedingung für den Marktzutritt ist.

Auf der Grundlage von Art 82 EG-V wurden zB verschiedene britische und irische Hafenbetreiber von der Kommission gezwungen, den ihren Fährschifftochterunternehmen oder den staatlichen Linienschifffahrtsunternehmen gewährten Schutz vor Wettbewerb zu entziehen und auch neuen Konkurrenten die Benützung ihrer Häfen zu gestatten. In Genua hat man auf der Grundlage von Art 82 der Verweigerung des Hafenzugangs für neue Anbieter von Hafendiensten (wie dem Be- oder Entladen oder Lotsendiensten) ein Ende gesetzt. Im Luftfahrtsektor hat sich die diskriminierende Behandlung verschiedener Kunden zB durch unterschiedliche Rabatte auf Landegebühren oder durch die Erbringung von Bodenabfertigungsdiensten mit unterschiedlicher Qualität oder zu unangemessenen Preisen in der Vergangenheit als problematisch erwiesen.

3. Wenden wir uns nun der letzten Form der Wettbewerbsbeschränkung zu, der Beschränkung von Wettbewerb durch Unternehmenszusammenschlüsse und Fusionen - und damit dem Aspekt der Fusionskontrolle

Ich bin sicher, daß Ihnen allen noch die Übernahmen von Billa und Meinl durch die deutsche REWE oder die Übernahme der CA durch die BA in Erinnerung ist. Bestimmt haben sie aber auch über die Zusammenschlüsse von Boeing/McDonnel Douglas oder Chrysler/Daimler gelesen und ist ihnen die am Einspruch der Kommission gescheiterte Übernahme der Lenzing AG durch ihren einzigen Konkurrenten nicht entgangen.

In all diesen Fällen geht es nicht um die Kontrolle des wettbewerblichen Verhaltens voneinander unabhängig bleibender Unternehmen - wie das bei Art 81 der Fall ist. Es geht bei der Fusionskontrolle vielmehr darum, daß durch den Zusammenschluß bisher unabhängiger Unternehmen - sei es durch Aktienerwerb, Unternehmenskauf oder Fusion - zu einer Reduktion der Wettbewerber kommt. Zumindest einer verliert dabei notgedrungen seine wirtschaftliche - vielleicht sogar seine rechtliche Selbständigkeit.

Die Fusionskontrolle basiert nun auf dem Grundgedanken, daß die ganz wesentlich von der Anzahl der Wettbewerber bestimmte Struktur eines Marktes durch Unternehmenszusammenschlüsse nur bis zu einem bestimmten Ausmaß beeinträchtigt werden darf. Würde die wettbewerbliche Marktstruktur zu sehr geschädigt, so wird der Zusammenschluß untersagt.

Und diese Schwelle, an der das gerade noch tolerierbare Ausmaß der Wettbewerbsgefährdung überschritten wird, liegt dort, wo es durch den Zusammenschluß zum Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung kommt.

Wie Sie sehen haben wir hier das gleiche Kriterium wie bei der Mißbrauchsaufsicht nach Art 82 - die Marktbeherrschung. Wenn wir beide Regelungen - Art 82 und die Fusionskontrolle - im Zusammenhang betrachten, so erkennen wir, daß das Europäische Kartellrecht nichts unternimmt, wenn ein Unternehmen durch eigenes erfolgreiches Wirtschaften in diese Position gelangt. Das ist nicht überraschend, sondern selbstverständlich. Wenn ein Produkt so gut ist, daß alle Konsumenten darauf zurückgreifen, dann ist die Monopolstellung dieses Produzenten nichts anderes als das Ergebnis von Wettbewerb. Das Europäische Kartellrecht greift aber dann ein, wenn Marktbeherrschung nicht das Ergebnis eigenen Wirtschaftens ist, sondern des Aufkaufs von Konkurrenten oder der Fusion mit diesen. In diesen Fällen muß der Zusammenschluß von der Kommission verboten werden.

Marktbeherrschung als solche ist also, wenn man sie aus eigenem Tun erreicht hat, nicht verboten. Man unterliegt dann zwar einer besonderen Aufsicht, man wird aber nicht gezwungen, diese Marktstellung zB durch den Verkauf von Tochterunternehmen wieder aufzugeben. Lediglich der Erlangung von Marktbeherrschung durch externes Unternehmenswachstum, wie zB durch den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an einem Konkurrenten, schiebt die Fusionskontrolle einen Riegel vor.

Die bisherige Praxis der Fusionskontrolle hat seit ihrem Inkrafttreten vor 10 Jahren bis heute 2000 Entscheidungen gebracht. Von diesem 2000 Fällen wurden 20 Fusionen untersagt und ungefähr 150 nur unter Auflagen genehmigt. Der Verkehrssektor nimmt hier keine besondere Stellung ein: Verkehrsunternehmen unterliegen - sofern sie groß genug sind, um in den Anwendungsbereich der Fusionskontrolle zu geraten - wie alle anderen Unternehmen bei ihren Zusammenschlüssen der vorherigen Kontrolle durch die Kommission. Das bedeutet, sie wird auch in Zukunft darauf achten, daß es durch Zusammenschlüsse, Firmenübernahmen oder die Gründung von Joint Ventures nicht zu marktbeherrschenden Stellungen und damit zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs im Eisenbahn, Flug- Schiff und Straßenverkehr kommen wird.

Ich danke für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.