Stadtentwicklungsimpulse durch den Ausbau der europäischen Eisenbahnmagistralen: Stuttgart 21 - Zukunftsinvestition für den Bahnknoten Stuttgart



Gerhard HEIMERL

Stuttgarts Hauptbahnhof ist die größte südwestdeutsche Drehscheibe des öffentlichen Verkehrs - vom europäischen und innerdeutschen Bahnverkehr über den Regional- und Nahverkehr der DB bis zur S-Bahn, zur Stadtbahn und zum Bus. Diese wichtigen Verknüpfungsfunktionen lassen sich nur an einem citynahen Standort vereinigen, sie ließen sich in peripherer Situation nicht erfüllen. Es ist daher für eine zukunftssichere Entwicklung der Landeshauptstadt, ihrer Region und des Landes Baden-Württemberg von höchster Bedeutung, diesen Knoten einerseits in seiner örtlichen Lage zu sichern und ihn andererseits für die Anforderungen des neuen Jahrhunderts zu ertüchtigen.

Die fortschreitende Integration Europas mit der Realisierung des europäischen Binnenmarktes und der Öffnung zu den mittel- und osteuropäischen Ländern, deren dynamisch wachsende Teilnahme am europäischen Wirtschaftsleben und ihr vorgesehener EU-Beitritt stellen an den Verkehrsmarkt große Anforderungen. Denn mit dem erweiterten und zusammenwachsenden Europa verändern sich die Verkehrsbeziehungen, die Verkehrsmengen und die zurückzulegenden Entfernungen sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr in eklatanter Weise. Der prognostizierte starke Zuwachs der Verkehrsnachfrage, mit dem auch ein struktureller und qualitativer Wandel einhergeht, steht in Zielkonflikt


  • mit Kapazitätsproblemen in unserem gesamten Verkehrssystem,

  • mit wachsenden Erkenntnissen über Umweltprobleme und gestiegenem Umweltbewusstsein.


  • Die umweltverträgliche Bewältigung unserer Mobilitätsbedürfnisse ist daher eine der Herausforderungen unserer Gesellschaft. Dazu muss verstärkt auf eine verkehrsträgerüber greifende, integrierte Verkehrspolitik gesetzt werden, in deren Rahmen die jeweils spezifischen Stärken der Verkehrsträger im Gesamtsystem zu nutzen sind.

    Wichtige Voraussetzung dafür sind leistungsfähige und wettbewerbsgerechte Verkehrswege. Die verfügbare Infrastruktur spielt nach Quantität und Qualität für alle Verkehrsträger eine gewichtige Rolle. Hierzu ist nüchtern festzustellen, dass die Bahnen - deren Netze i. w. im 19. Jahrhundert entsprechend der damaligen Vorstellungen entstanden sind - nicht nur Kapazitätsengpässe aufweisen, sondern vielfach auch in ihrer Struktur den heutigen Marktanforderungen nicht genügen. Für ein zukunftsfähiges europäisches Netz darf daher nicht nur (wie es derzeit überbetont erfolgt) in die Sanierung der Uraltstrukturen investiert werden; vielmehr sind für eine wettbewerbsstarke Bahn in erheblichem Umfang Investitionen auch in innovative Strukturen, in Neu- und Ausbaustrecken erforderlich.

    Mit dem europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz haben die europäischen Bahnen und die EU-Kommission ein umfassendes Konzept vorgelegt, das die Leitplanung für die künftig wichtigen europäischen Achsen darstellt. Zu diesen gehört auch die Magistrale Paris - Karlsruhe/Mannheim - Stuttgart - München - Salzburg - Wien - Budapest.

    Bei den - bisher wenigen - Streckenneubauten standen die einzelnen Strecken im Vordergrund, weniger die Knoten. Diese sind aber für ein leistungsfähiges Netz nicht minder wichtig. Das Projekt "Stuttgart 21" mit der Weiterführung der vorhandenen Neubaustrecke Mannheim - Stuttgart durch den Knoten Stuttgart nach Ulm - Augsburg kann als erstes innovatives Beispiel und als Pioniervorhaben in Deutschland hierfür genannt werden, weil es erstmalig in umfassender und detaillierter Weise den gesamten - quantitativ und qualitativ kritischen - Knotenbereich mit seinem Hauptbahnhof, der Neubaustrecke und allen seinen Zulaufstrecken und Verknüpfungen in die Planungskonzeption voll integriert.

    Darüber hinaus ist gleichzeitig die Verkehrsplanung mit der Stadtentwicklungsplanung verzahnt: mit der Neugestaltung der Gleisanlagen und deren Tieflegung werden mehr als 100 ha bisherigen Gleisflächen in citynaher Lage für andere städtebauliche Nutzungen frei - eine zukunftsweisende Chance dafür, die seitherigen Bahnflächen in urbanes Leben/Wohnen/Arbeiten einzubeziehen und den zentralen Bahnhof als ein städtebauliches Kernelement zu stärken. Weitere Ausführungen dazu siehe im nachstehenden Beitrag von Albrecht Klenk: "Stuttgart 21, das Städtebauprojekt - eine Jahrhundertchance".

    Die Zielvorstellung für ein zusammenhängendes europäisches Netz erfordert bereits jetzt zukunftsbeständige Konzeptionen. Denn nur so ist es möglich, für die jetzt durchzuführenden Maßnahmen und Investitionen diejenigen Alternativen zu wählen, die sich später nahtlos in schlüssige, durchgängige Lösungen einpassen lassen. Andernfalls entstünden Fehlinvestitionen und/oder es würde ein nicht mehr korrigierbarer Langsamfahrabschnitt in das Hochgeschwindigkeitsnetz eingebaut. Die Planungspraxis der rückliegenden Jahre zeigt, gerade auch in unserer Region mit dem Disput um die Neubaustrecke Stuttgart - Ulm, dass dieser Hinweis nicht nur theoretischer Art ist.

    Stuttgart wird in den hochwertigen Schienenschnellverkehr in herausragender Qualität in zwei europäische Achsen eingebunden, nämlich

  • (London-) Brüssel/Amsterdam/Ruhrgebiet - Köln - Frankfurt - Mannheim - Stuttgart - München und

  • Paris - Straßburg - Karlsruhe - Stuttgart - München - Wien - Budapest.


  • Stuttgart 21 wurde zwar durch die Fernverkehrsplanungen im europäischen Schnellverkehrsnetz angestoßen (siehe Tabelle "Ablauf Bahnprojekt und Stadtbauprojekt"). Durch die Gestaltung der Gleisanlagen und Netzanbindungen - u. a. durch die Verbindungsschleife vom Hauptbahnhof über Wangen nach Unter-/Obertürkheim - konnte ein Betriebskonzept entwickelt werden, das dem Regionalverkehr in noch stärkerem Umfang als dem Fernverkehr quantitative und qualitative Verbesserungen bringt und noch deutlich weitergehende Kapazitätsreserven bietet. Eine Art Eisenbahnring (siehe Plan) verbindet Hauptbahnhof und Wartungsbahnhof mit entsprechenden Eckverbindungen so, dass in allen sinnvoll denkbaren Relationen Züge ohne Richtungswechsel den Hauptbahnhof passieren können. Dies ermöglicht auch für den Regionalverkehr nachfragegerechte Durchbindungen von Zügen, wie z. B.

  • von Mühlacker via Plochingen nach Geislingen,

  • von Heilbronn via Flughafen nach Horb,

  • von Schwäbisch Hall via Plochingen nach Tübingen,

  • von Aalen via Flughafen nach Tübingen.


  • Das Konzept Stuttgart 21 stellt gemeinsam mit der Neubaustrecke Stuttgart - Ulm eine konsequente und schlüssige Antwort auf die vielfältigen Fragen und Überlegungen zu einer zukunftsorientierten Gestaltung der Eisenbahninfrastruktur und des Städtebaues dar. Es erfüllt sowohl für den Bahnverkehr als auch für die Stadtentwicklung alle Anforderungen der Zukunft und bietet für Stuttgart und die Region ebenso wie für ein leistungsfähiges Bahnnetz Vorteile:

  • durchgängige Hochgeschwindigkeitsstrecke mit Halt in der City
       (statt peripherer "Vorbeiführung" des Hochgeschwindigkeitsverkehrs an Stuttgart) und damit
  • Erhalt des zentralen Hauptbahnhofs Stuttgart in allen seinen Verknüpfungsfunktionen (künftig als leistungsfähigen Durchgangsbahnhof),
  • merkliche Verbesserung des Verkehrsangebots der Bahn mit Reisezeitverkürzungen
       sowohl im Fernverkehr als auch im Regional-/Nahverkehr infolge der Durchbindung der Linien,
  • erheblicher Verkehrszuwachs auf der Schiene bei gleichzeitiger Entlastung der Straße und entsprechender Verringerung der Umweltbelastung,
  • Flughafenanbindung im Fernverkehr und im schnellen (Inter-)Regionalverkehr mit
       zusätzlichen verkehrlichen Verbesserungen für den Stuttgarter Süden und ggf. die neue Messe,
  • umfangreiche und hochwertige städtebauliche Entwicklungsmöglichkeiten im Kernbereich der Landeshauptstadt,
  • zukunftssichere Impulse für Wirtschaft und Gesellschaft als Standortfaktor für Stadt, Region und Land.




  • STUTTGART 21
    Ablauf Bahnprojekt und Städtebauprojekt



    Entwicklungsphase Bahnprojekt
    1985 Bundesverkehrswegeplan 1985 enthält "Ausbau-/Neubaustrecke Plochingen - Günzburg" (30 km Lücke zwischen Ende der NBS Mannheim - Stuttgart und Plochingen, kein leistungssteigernder Ausbau des Knotens Stuttgart)
     
    1988 Alternativvorschlag Professor Heimerl mit dem Ziel, eine Leistungslücke in Stuttgart zu vermeiden und eine zukunftsbeständige, durchgängige Neubaustrecke zu schaffen (H-Trasse):
  • Erstellung eines Durchgangsbahnhofs für den Verkehr auf der künftigen Schnellfahrstrecke Mannheim - Stuttgart - Ulm in Verbindung mit dem vorhandenen Stuttgart Hbf
  • Trassierung zwischen Stuttgart und Ulm durchgehend für Geschwindigkeiten von mindestens 250 km/h, möglichst 300 km/h
  • Trassierung weitgehend entlang der Bundesautobahn A8 Karlsruhe - München mit ökologisch vorteilhaftem Bündelungseffekt
  • Erhöhung der maximalen Streckenneigung über 12,5‰ hinaus auf 25‰, dadurch bessere Anpassung an das Gelände und in der Folge geringere Baukosten. Entmischung von schnellem und langsamem Verkehr
  •  
    1989 Ausweitung der DB-Planung mit Übernahme des Gedankens zur Unterfahrung des Stuttgarter Hauptbahnhofs, jedoch Tunnelführung nach Plochingen (K-Trasse) und Beibehaltung der ABS-Trasse.
     
    1990 DB-Vorstandsbeschluss "... aus strategischen Gründen Präferierung einer Trassenführung in Anlehnung an die Heimerl-Variante"
     
    1992 Bundesverkehrswegeplan 1992 mit NBS/ABS Stuttgart - Ulm - Augsburg(Trassenführung offen), Dringlichkeitsstufe 1
     
    1992/93 Einstimmige Beschlüsse des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart für die H-Trasse
     
    15.9.1992 Kabinettsbeschluss der Landesregierung Baden-Württemberg für die H-Trasse, Forderung der Flughafenanbindung
     
    8.12.1992 DB-Vorstandsbeschluss analog, jedoch mit Auflage der Prüfung weiterer Varianten im Knoten Stuttgart, darunter Verlegung des Hauptbahnhofs zu einem Durchgangsbahnhof am Rosensteinpark unter Freigabe ausgedehnter stadtnaher Bahnflächen.
     
    1993/94 Konkretisierung der Idee zu Stuttgart 21: Durchgangsbahnhof in kompletter Tieflage quer zum heutigen Hauptbahnhof unter Beibehaltung des citynahen Standortes, damit Freimachen der vorhandenen Bahnbetriebsflächen; Durchführung detaillierter Untersuchungen unter verkehrlichen, eisenbahnbetrieblichen, bautechnischen und wirtschaftlichen Aspekten im Rahmen einer Machbarkeitsstudie
     
     
     

    IDEENPHASE STÄDTEBAUPROJEKT

     
    18.04.1994 Vorstellung Ideenskizze Stuttgart 21
    18.11.1994 1. Städtebauliches Gutachten (6 Entwürfe)
    16.01.1995 Abschluss Machbarkeitsstudie
    07.11.1995 Abschluss Vorprojekt
     
    Kronkretisierung  
     
    28.02.1996 2. Städtebauliches Gutachten (10 Entwürfe)
    06.12.1996 Einleitung Raumordnungsverfahren
    18.07.1997 Abschluss Realisierungswettbewerb Hauptbahnhof
    10.09.1997 Abschluss Raumordnungsverfahren
    03.12.1998 Gemeinderat beschließt Städtebaulichen Vertrag A 1
    10.12.1998 DB AG unterzeichnet Städtebaulichen Vertrag A 1
    26.06.1996 Gründung DB Projekt GmbH Stuttgart 21
    24.07.1997 Gemeinderatsbeschluss zum Rahmenplan Stuttgart 21
     
    Überprüfung  
     
    27.09.1998 Bundestagswahl, Regierungswechsel in Berlin
    08.10.1998 Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan A1
    06.03.1999 Entscheidung Wettbewerb Bibliothek 21
    01.03.2000 Aufsichtsrat DB AG berät Stuttgart 21, Verhandlungen zur Vorfinanzierung
    14.02.2001 Entscheidung in Berlin: "Stuttgart 21 geht weiter"
    16.05.2001 DB AG: Planung Stuttgart 21 + Wendlingen-Ulm wird fortgeführt
    24.07.2001 Abschluss der Ergänzungsvereinbarung
    30.10.2001 Planfeststellungsunterlagen PFA 1.1 "Talquerung" beim EBA
    21.12.2001 Stadt und Bahn unterzeichnen Kaufvertrag A2, A3, B, C, D
    Januar 2002 Zurückweisung der Planfeststellungsunterlagen durch das Eisenbahnbundesamt, Überarbeitung der Planunterlagen
     
    Entscheidung  
     
    Mitte 2002 Planfeststellungsverfahren
    2005 Abschließende Entscheidung von Bund und Bahn über die Realisierung des Projekts Stuttgart 21
     
    Bauen bis 2014
     
     

    Das Projekt Stuttgart 21 und die Neubaustrecke (H-Trasse) Stuttgart - Ulm

    Übersicht über die Streckenführung in Stuttgart
    mit Neubaustrecke Stuttgart - Wendlingen - Ulm

     
     
    Stuttgart 21 wurde zwar durch die Fernverkehrs-planungen im europäischen
    Schnellverkehrsnetz angestoßen, das Betriebskonzept bringt dem
    Regionalverkehr jedoch in noch stärkerem Maße als dem Fernverkehr quantitative
    und qualitative Verbesserungen.

  • Erhalt des zentralen Hauptbahnhofs Stuttgart

  • regelmäßige Direktverbindungen durch den Ballungs-raum Stuttgart hindurch
         (beim bestehenden Kopfbahn-hof kaum möglich)

  • Flughafen/ Filderebene auch von Orten, die nicht an der S2 und S3
         liegen, umsteigefrei erreichbar

  • kürzere Umsteigewege im Hauptbahnhof
  •  
    Durchgangsbahnhof und neue Strecken verkürzen die Fahrzeiten
    auch im Regionalverkehr:

  • Verbesserung des öffentlichen Verkehrssystems in der
         Region Stuttgart und damit

  • Nachfragezuwachs im öffentlichen Verkehrssystem