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H. Hainitz Die Infrastruktur im Rahmen des Österreichischen Bahnsystems

Langfassung

1. Die verkehrspolitischen und geografischen Rahmenbedingungen
Im Zug der Zeit sitzt, wer für eine schnelle, sichere und bequeme Verkehrsverbindung sorgt. Wir befinden uns in einer Zeit, in der immer mehr Menschen noch schneller und bequemer mit Dienstleistungen und Waren versorgt werden wollen. Und wir befinden uns in einer Zeit, in der die Europäische Union wirtschaftlich noch enger zusammenwächst und ihre Position als ”Big Player” im Wettbewerb um wirtschaftliche Anteile am internationalen Markt vertieft und ausbaut. Der Aus- und Neubau der österreichischen Schieneninfrastruktur zum hochrangigen Streckennetz ist nicht bloß eine Frage des Willens zur Umsetzung der im Rahmen der transeuropäischen Netze (TEN) formulierten Richtlinien. National wie international ist es verkehrspolitische Verpflichtung und technische Herausforderung, umfassende Baumaßnahmen im hochrangigen Schienennetz zu setzen, das in Österreich gegenwärtig etwa 2.300 km lang ist. An der Schnittstelle des Nord-Süd und West-Ost Schienenverkehrs ist die ”Drehscheibe Österreich” buchstäblich das ”Herzstück” eines zukünftigen TEN-Netzes. Die hohe Bedeutung der internationalen Komponente für den Schienenverkehr in Österreich zeigt sich z. B. darin, dass 74% des ÖBB – Güterverkehrsaufkommens in den Kategorien Einfuhr/Ausfuhr/Transit anfallen, der Anteil des rein inländischen Aufkommens beträgt 26%.

2. Ein moderne Bahninfrastruktur - eine Herausforderung für die ÖBB
Die Prognosen für die zukünftige Verkehrsentwicklung setzen klare Prioritäten für die Modernisierung der österreichischen Bahninfrastruktur: Auf den relevanten Achsen (Donau-Achse/Westbahn, Pontebbana-Achse /Südbahn, Brennerachse, Arlberg, Ennstal- /Pyhrn-Schober-Achse, Tauern-Achse) muss daher der Schwerpunkt des österreichischen Infrastrukturausbaus liegen. Dabei ist zu beachten, dass die Harmonisierung der modernen Hochleistungs-Standards im europäischen Schienennetz von den topografischen Verhältnissen, der daraus resultierenden Siedlungsstruktur und dem vorhandenen technischen Bestand entscheidend beeinflusst wird.

Ziel der Maßnahmen im Bereich der österreichischen Schieneninfrastruktur ist der Ausbau der Hochleistungsstrecken entlang der Achsen, vor allem auch zur Optimierung der Streckenkapazitäten. Das Hauptgewicht liegt dabei auf der Westbahn sowie auf den übrigen, wichtigen Transitrouten durch Österreich und dem Großraum Wien.

3. Das österreichische Hochleistungsnetz - Ziele und Anforderungen
Im Jahr 1989 beschloss die österreichische Bundesregierung das Eisenbahn-Hochleistungsstreckengesetz (HL-Gesetz). Voraussetzungen für die Erklärung einer Bahnstrecke zur HL-Strecke sind primär folgende:

  • Bedeutung der Strecke für einen leistungsfähigen Verkehr mit internationalen Verbindungen oder für den Nahverkehr und
  • Notwendigkeit von umfangreichen Baumaßnahmen für die Optimierung der Verkehrsbedienung.

Mit den entsprechenden Verordnungen wurde das gesamte Netz festgelegt. Ziel des Ausbauprogramms ist vor allem eine Anhebung der Kapazitäten sowie eine Steigerung der Streckenhöchstgeschwindigkeiten. Bei der Planung von HL – Strecken sind die HL – Richtlinien anzuwenden, die im allgemeinen gegenüber den allgemeinen Planungsvorschriften höhere Mindestwerte der Planungsparameter enthalten. Unter Berücksichtigung der topografischen Verhältnisse und in Anbetracht der Besiedlungsdichte betragen die Ausbaugeschwindigkeiten im inneralpinen Bereich bis zu 160 km/h. Auf der österreichischen Westbahnstrecke Wien - Salzburg wird ein Geschwindigkeitsniveau von 200 km/h angestrebt, womit der Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz gegeben ist.

Für den Ausbau der Westbahn gelten beispielsweise u. a. die folgenden Festlegungen (gemäß den Planungsrichtlinien für Hochleistungsstrecken):

  • Die durchgehenden Hauptgleise sind bahnsteigfrei mit einem Gleisabstand von 4,70 m zu errichten.
  • Die Fahrleitungsanlage für die durchgehenden Hauptgleise wird mit Einzelmasten ausgerüstet (keine Querseilfelder).
  • Die im Zuge von Linienverbesserungen erforderlichen (zweigleisigen) Tunnelabschnitte werden mit einer Nettoquerschnittsfläche von 78,8 m2 errichtet.
  • Strecken für Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 160 km/h werden mit einem linienförmigen Zugbeeinflussungssystem (LZB) ausgerüstet.
  • Die Bahnsteige in den Bahnhöfen und Haltestellen erhalten Bahnsteigkanten mit einer Höhe von 55 cm über SOK (Schienenoberkante).
  • Alle niveaugleichen Eisenbahnkreuzungen werden eliminiert. Dies erfolgt durch die Errichtung von Unter – bzw. Überführungen. Zum Teil werden auch mehrere ehemalige Eisenbahnkreuzungen über Parallelwege zusammengelegt.

4. Maßnahmen im Bestandsnetz
Ebenso wichtig wie die Maßnahmen zum Ausbau des Schienennetzes sind Verbesserungen im bestehenden Netz, um auch hier den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Zu diesen Maßnahmen zählen Verstärkungen des Oberbaues, die den zu erwartenden bzw. vielfach schon jetzt zu beobachtenden Erhöhungen der Achslasten Rechnung tragen und gleichzeitig kostengünstige Erhaltungsstrategien ermöglichen.

Neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Signaltechnik ermöglichen Rationalisierungen und Qualitätsverbesserungen im Bahnbetrieb: 1999 wurde als zukunftsweisende Innovation im grenzüberschreitenden Abschnitt der Strecke Wien – Budapest das zukünftige, einheitliche europäische Zugsicherungssystem ETCS (European Train Control System) erfolgreich getestet. In den nächsten Jahren wird die gesamte Strecke als eine der ersten mit diesem Zugsicherungssystem (ETCS/Level 1) ausgerüstet. Der österreichische Abschnitt wird bis 2003 fertiggestellt (mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union). Weiters wurde im Herbst 2001 die Ausrüstung aller Hauptstrecken der ÖBB (mit Ausnahme der Westbahn) mit ETCS/Level 1 beschlossen. Die dafür notwendigen Investitionen für die ÖBB – Infrastruktur betragen rd. 101,74 Mio. € , für die Ausstattung der Fahrzeuge rd. 58,14 Mio. €. Die Westbahnstrecke Wien – Salzburg wird jedoch weiterhin mit LZB (Linienzugbeeinflussung) ausgestattet, um Höchstgeschwindigkeiten von über 160 km/h zu ermöglichen.

Weiters wird durch die Errichtung von Lärmschutzeinrichtungen, wie z. B. Lärmschutzwände, die Wohnqualität in der Nähe von Bahnanlagen optimiert. Allerdings ist hier zu bemerken, dass auch durch die Entwicklung lärmarmer Fahrzeuge beträchtliche Lärmreduktionen zu erzielen sind, wie Beispiele aus jüngster Zeit zeigen.

Neben den Hauptmagistralen sind aber auch die nachgeordneten Strecken zu betrachten. Sie erfüllen vielfach Zubringerfunktionen und Aufgaben im Regionalverkehr. Auf diesen Strecken sind Attraktivierungen und Rationalisierungen des Bahnbetriebes durch moderne Zugleitbetriebe vorzunehmen, sofern diese Maßnahmen durch ein entsprechendes Verkehrsaufkommen bzw. Verkehrspotential gerechtfertigt sind.

5. Einsatz der Neigetechnik
Auch der Einsatz der Neigetechnik ist bei den ÖBB in Diskussion: Da sich ein großzügiger Streckenaus- oder -neubau wegen der hohen Investitionskosten grundsätzlich vor allem bei Hauptmagistralen rentiert, ist der Einsatz von Neigezügen eine Möglichkeit, die Reisezeiten zu verkürzen und das Bahnangebot attraktiver zu gestalten. Bei der Planung von neuen Einsatzmöglichkeiten für Neigezüge ist jedoch zu berücksichtigen, dass deren fahrplanmäßiger Einsatz eine vorangehende Anpassung der Anlagen sowohl hinsichtlich des installierten Signal- und Zugsicherungssystems als auch der Gleise und Weichen erfordert. Die aktuelle Situation bei den ÖBB ist so, dass bei einer Beschaffung von Neigezügen (auf Grund der Ausschreibungsergebnisse und darüber hinaus des Aussteigens der DB aus der TEE-Allianz) eine betriebswirtschaftlich positive Darstellung derzeit nicht möglich erscheint.

Lassen Sie mich aber an dieser Stelle auch ein wenig allgemeiner über die Komplexität des Eisenbahnwesens sprechen. Grund dafür ist, dass die Diskussion oft in allzu plakativer und vereinfachender Form geführt und Neigetechnik dabei als Problemlöser schlechthin dargestellt wird.
Kehren wir zu meiner Aussage zurück, dass auch Neigetechnik eine Anpassung der Gleisanlagen erforderlich macht.

Nehmen wir zunächst das Problem des Seekrankwerdens. Ist man bei der Neigegeschwindigkeit des Zuges bei maximal 8°, neuerdings auch 6° pro Sekunde angelangt, sind plötzlich die Rampen zu kurz und schon beginnt das Malheur.
Das nächste Problem liegt in der zunehmenden Spreizung zwischen den Höchstgeschwindigkeiten der einzelnen Zuggattungen (Neigezug / konventioneller Reisezug / Güterzug). Im Hochleistungsstreckenbereich können daraus dann Kapazitätsprobleme entstehen.

Etwas muss auch gesagt werden: Allgemein können diese Systeme bei Geschwindigkeiten bis 70 km/h nicht angewendet werden. Sie bringen daher, außer vielleicht bei Anfahr- und Bremsphase, eine Zeitersparnis lediglich von Sekunden. Auch im Radienbereich, der im nächst höheren Geschwindigkeitsniveau liegt, kann die volle Möglichkeit des Neigezuges nicht ausnützt werden, (d.h. die Geschwindigkeitserhöhung mit bis zu 30 % mehr im Bogen funktioniert aufgrund von lauftechnischen Vorgaben, Anlaufwinkeln, Gleiskräften etc., im wesentlichen erst ab Radien, die sich bei rd. 500 m bewegen). Das österreichische Netz besteht zum Teil noch aus Bögen von rd. 250 m Radius. Dann können Sie sich vorstellen, dass die Zeitgewinne beispielsweise auf der Arlbergachse zwischen Innsbruck oder Ötztal und Bregenz oder Bludenz im Bereich von rd. 15 Minuten liegen. Dann folgt daraus die Frage, wo der Nutzen bei den hohen Kosten liegt? Das ist das Problem, dass eigentlich die berühmten 25 %, die man sich im Maximum erwartet, bei dieser Netzstruktur gar nicht eintreten können.
Dies nur als kurze Zusammenfassung zu diesem System.

Es sei auch erwähnt, dass bei uns der Einsatz von Neigezügen zur Enttäuschung vieler verhältnismäßig wenig bringt, da wir an geeigneten Stellen im Netz mit hochwertigem Oberbau die freie Seitenbeschleunigung konventioneller Reisezüge bereits von 0,65 m/sec² auf 0,85 m/sec², maximal sogar gegen 0,9 m/sec², gehoben haben.

Und auch hier gleich eine Absage an jene oberflächliche Argumentation, die glauben macht, der konventionelle Zug könne auch mit 1 m/sec² Seitenbeschleunigung fahren.
1 m/sec² ist der Grenzwert eines relativ leichten Straßenbahnzuges auf eingepflastertem Rillengleis.

Ein hochwertiger Reisezug, in dem Sie auch den Anspruch stellen, in angenehmer Reiseatmosphäre Getränke zu genießen, wird bei 1m/ sec2 freier Seitenbeschleunigung oder noch ein bisschen mehr, im Speisewagen sehr dicken Kaffee (am besten Kaffeepudding) benötigen, damit sich niemand verbrüht.

Ich versuche das auch deshalb so anschaulich darzustellen, weil ich ein europäisches Problem in den neuen Eisenbahnstrukturen (und auch Industriestrukturen) sehe:

Das vernetzte Denken fehlt mehr und mehr. Wir denken in Sparten, in Suboptimierungen des eigenen Bereiches, ohne Berücksichtigung der Gesamtzusammenhänge im System.

Erreicht werden soll, ein Angebot auf der Schiene in einem von uns als sehr wirtschaftlich angesehenen Verkehrssystem zu bieten, in einem System für Massenverkehre, mit den Vorteilen der Zugbildung, weitestgehender Automatisierung und Umweltfreundlichkeit. Gleichzeitig soll es darüber hinaus den Anreiz bieten, von der Freiheit des eigenen PKWs oder der Freizügigkeit der Straße ausgehend ein leistungsfähiges, wirtschaftliches, komfortables und sicheres System zu sein. Es wäre jedoch kein großer Fortschritt, die Nachteile des Flugzeuges mit den Nachteilen der Eisenbahn zu verbinden.

Wesentlicher Nachteil des Bodenverkehrsmittels ist die Fahrzeit, die Reisezeit ist damit vergleichsweise länger. Nachteil des Flugzeugs ist bildlich gesprochen, dass Sie angeschnallt im Sessel sitzen und hoffen müssen, dass Sie nicht mit der Kaffeetasse in der Hand in das Luftloch stürzen. Ich sage es pointiert, denn es ist eine Aufforderung, das Eisenbahnsystem, so wie das System Straße oder das System Schiff, auch als technisches System voll zu durchschauen und voll zu verstehen. Das geschilderte Manko hat nichts mit politischen Grundsätzen zu tun, nichts mit der Diskussion über Organisationsformen, sondern lediglich mit einem kaufmännisch technischen Verständnis für ein kohärentes System.
Ich ersuche zu verstehen, dass ich gerade dieses so betone.
Aber wenn ich mir Sätze wie diese anhören muss: "Warum haben Sie ein Problem mit dieser und jener modernen Lokomotive im Bogenlauf?“ (Es ist nicht der "Taurus" gemeint, sondern eine ausländische Lokomotive). "Sie haben doch sicher alte, die noch schlechter sind?“ Da muss man ja Fachleuten die Geschichte der Entstehung der Lokomotive von der Adamsachse bei der Dampflokomotive bis zur Querkupplung zwischen zwei Drehgestellen (um einwandfreien Bogenlauf einerseits und andererseits einwandfreien schlingerfreien Lauf in der Geraden zu erzielen) auch noch beibringen.

Gerade hier sehe ich das große Manko, nicht beim Fahrzeug, sondern beim allgemeinen Unverständnis, wie das Gesamtsystem wirkt. Ich glaube, ja ich darf Sie ermuntern, in Ihren Bereichen, soweit Sie Einfluss haben, darüber einmal nachzudenken. Es ist erschütternd, was man sich hier manchmal an Ahnungslosigkeit anhören muss. Ich sage es bildlich ganz offen: Mit dem Glauben an dieses Kasterl mit dem Bildschirm (es ist nicht der Fernseher gemeint) vor sich, von dem mancher meint, dass dieses Ding all das kann, was er selber nicht kann. Es ist auch nur so gescheit, wie der, der davor sitzt und es hebt vor allem die Gesetze der Physik nicht auf. Ich glaube, wir sollten vor allem versuchen, die Gesetze der Physik im Gesamtzusammenhang zu verstehen. Ich werde schon manchmal belächelt, wenn ich sage: "Eine gute Idee, aber leider habt Ihr vergessen, dass die Physik dagegen ist.“ Man kann es aber nicht ändern, weil es Naturgesetze sind.

So nun genug der Pointierung, ich komme zum Resümee.

6. Resümee
Rund 2.300 Kilometer des gesamten österreichischen Schienennetzes werden in den kommenden Jahren auf den Standard von Eisenbahn-Hochleistungsstrecken gebracht. Die topografische Lage Österreichs, der technische Status quo der Anlagen und der hohe Anteil an Kunstbauten machen dieses Ziel zu einer besonderen Herausforderung. Erreichbar ist das Ziel eines österreichischen Hochleistungsnetzes nur mit exzellentem technischen know how, hoher Projekt-Managementqualität und hohem Einsatz finanzieller Mittel.

Dieses Netz ist ein integrierter Bestandteil eines europäischen Netzes. Ein entsprechender Beitrag in Europa entsteht vor allem durch die Verbindungen zu den Nachbarländern, sei es in Richtung Westen im TEN-Netz oder in den Parametern der PAN-Netze (PAN-Europäische oder Helsinki-Korridore).

(klicken für zoom)

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